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Aus dem Kapitel "Schangri-La, unser Streben nach Glückseligkeit"

Wer die auslösende Entsprechung zur Glückseligkeit ausschließlich als biochemisches Geschehen auf der neuronalen Ebene erachtet, vernachlässigt oder verleugnet allerdings deren transzendente Dimension. Schließlich ist die zu beobachtende biochemische Reaktion nur der gröbste stoffliche Aspekt glückseliger Empfindungen. Suchen wir nach der Nahtstelle, wo feinstoffliches und grobstoffliches Wirken ineinander greifen, stoßen wir auf das Modell der Kundalini. Mit Kundalini wird eine erfahrbare, in uns schlummernde spirituelle Kraft bezeichnet.

Sie ist zwar einerseits eine feinstoffliche Kraft, andererseits zeitigt sie beachtliche physiologische Wirkungen, wenn sie erst einmal geweckt ist. Es gibt verschiedene Methoden, Kundalini durch körperliche Übungen zu wecken. ‑ Doch darüber in den folgenden Kapiteln mehr. Zunächst bleibt festzuhalten, dass der treibende Impuls unseres Strebens nach Glückseligkeit in der jedem Menschen eigenen Kundalini-Kraft zu vermuten ist. Jedenfalls haben wir in ihr ein ebenso transzendentes wie psychosomatisches Phänomen, das den Durst nach himmlischer Vereinigung stillt und zum Labsal wahrer Glückseligkeit wird.

Freilich liegt die Schwierigkeit, sich diesem Aspekt zu nähern, nicht in der Kundalini selbst, sondern in der maßlosen Mystifikation, die um dieses Phänomen gemacht wird. Da wird von schrecklichen körperlichen Folgen durch unsachgemäße Erweckung dieser Kraft ebenso berichtet wie von außerordentlichen okkulten Fähigkeiten, über die derjenige verfügen soll, in dem diese Kraft fließt. Nicht zuletzt spricht man von Kundalini in Verbindung mit Erleuchtung und einem allumfassenden Bewusstsein. Demgegenüber steht oft ebenso „monolithisch“ eine aus alten Schriften übernommene scheinheilige und frauenverachtende Sexualmoral, die einem am spirituellen Gehalt einer sich entwickelnden Kundalini-Kraft zweifeln lassen muss. Zudem ist ein Großteil anempfohlener Körperübungen zur Erweckung der Kundalini derart abstoßend und in höchstem Maße gesundheitsgefährdend, dass man entweder ein Narr oder ein unbesonnener Held sein muss, um sich derartigen Prozeduren freiwillig auszusetzen.

Dessen ungeachtet bleibt Kundalini im Gegensatz zu allen anderen theoretisch-philosophischen Erörterungen zum Phänomen der Glückseligkeit die einzig wirkende Erscheinung, die wir als Entsprechung zum Ursprünglichen in uns ausmachen können. Und es liegt nicht zuletzt an uns selbst, ob wir bei der Erweckung dieser Kraft dumpfen mittelalterlichen Ritualen nacheifern oder ob wir nüchtern und unbefangen versuchen, den Schlüssel zur Glückseligkeit in uns zu heben und hierdurch allmählich seelisches Heil und spirituelle Reife erlangen.

Es ist der Weg, der uns zum Ziel führt. Und wenn der alte Spruch, dass der Weg das Ziel sei, seine Gültigkeit besitzt, dann sollten wir insbesondere auf dem Pfad zur Glückseligkeit bedächtig voranschreiten und uns nicht durch Vorstellungen oder Glaubenssätze täuschen lassen. Wenn also Glückseligkeit höchste Freude ist, muss auch der Weg dorthin voll Freude sein. Und wenn wir in Glückseligkeit unser Heil finden, sollte uns auch der Weg dorthin heilen. Es sind also diese und andere Merkmale, die uns den Weg weisen, dementsprechend sollten wir uns nach ihnen richten, nur dann können wir Irrwegen ausweichen. Denn auf dem Weg zum vollendeten Glück wird man leider durch keinen Schaden klug. Nur in diesem Sinne verwirklichen wir die von den alten Griechen verstandene Bedeutung für den Begriff Glückseligkeit „Eudaimonia“, der besagt: „von einem guten Geist geführt werden!“